„Wenn ich nur könnte, wie ich wollte!“ oder: „Vom Eigen-Sinn eines kleinen Würmlis“
(von Claudia Alshut)
Unter dem Titel: „Ich krieg’s hin – Selbstwirksam leben und handeln“ hatte der Landesverband der Beratungslehrer/innen vom 4. bis 5. März 2015 nach Königswinter eingeladen.
Die diesjährige Fortbildung nahm dabei mit dem vorgestellten Zürcher Ressourcen Modell* (ZRM) ein Modell der ressourcenorientierten Beratung in den Blick.
In einem dynamischen Wechsel von Theorie und Praxis führten uns die drei Referentinnen Inge Mitlacher (Dipl.-Päd.), Dr. Renate Bonn (Dipl.-Psych.) und Anne Bonn (Dipl.-Ing.Arch.) kompetent, strukturiert, authentisch und kreativ an die Thematik einer gelungenen Selbstregulation durch ressourcenorientierte Beratung heran:
Wir alle kennen die Situation, dass wir mit guten, vernünftigen Vorsätzen unser Verhalten ändern wollen, dass wir z.B. endlich gesünder essen wollen, die Korrekturen rechtzeitig über die Bühne kriegen wollen oder endlich mal wieder zeitig ins Bett gehen wollen. Doch das fällt uns oft nicht so leicht...
Noch viel schwieriger ist es für unsere Schüler mit ihrem starken Autonomiebedürfnis sich nicht nur vorzunehmen, z.B. intensiver für die Schule zu lernen, störendes Verhalten in der Klasse zurückzuschrauben oder aktiv auf mögliche neue Freunde zuzugehen, sondern es auch tatsächlich zu tun. Ihr Unbewusstes ist häufig gänzlich unbeeindruckt, weil es kein direktes Bedürfnis gibt, was durch das von Erwachsenen und oftmals von ihnen selbst „eingesehene“ Verhalten befriedigt werden würde.
Eine Umsetzung des eigenen Vorsatzes kann aber nur dann gelingen, wenn der Schüler (oder auch wir Erwachsene) eine Möglichkeit finden, unsere Anliegen selbstbestimmt und ganzheitlich – mit einem gefühlten Ja – zu steuern.
So führte der erste Tag der Fortbildung uns in die Theorie des ZRM ein.
Als Ausgangspunkt diente hier die bereits erwähnte Erfahrung von Zerrissenheit zwischen Wünschen des Verstandes und möglichen starken Gefühlen eines Unbehagens in Bezug auf diese so „vernünftigen“ Wünsche.
Die Referentinnen stellten uns zunächst die zwei verschiedenen Informationssysteme vor, die uns helfen, in unserem Leben Entscheidungen zu treffen:
Auf der einen Seite steht der sprachgebundene, reflektierende Verstand und auf der anderen Seite ein evolutionär älterer Teil des Gehirns, das limbische System (uns sympathischer vorgestellt als „Würmli“), dessen Wirken wir an unseren Gefühlen und Körperempfindungen (Bauchgefühle) den sogenannten somatischen Markern erkennen können.
Stimmen diese beiden Systeme bei einer Entscheidung überein, so kommt es zu psychischem Wohlbefinden – wir arbeiten dann z.B. gerne an einer Veränderung unseres Verhaltens.
Anders ist dies jedoch, wenn Verstand und Bauchgefühl etwas anderes wollen. Unsere somatischen Marker melden sich dann deutlich mit z.B. „Bauchgrummeln“ oder das Limbische System bestimmt unser Verhalten, oft ohne dasss es uns bewusst wird – am Verstand vorbei.
Das psychische Unbehagen, das wir in solchen Situationen oftmals spüren, ließe sich durch Selbstdisziplinierung kurzfristig bekämpfen; doch ist diese Methode des „Würmli-Würgens“ letztlich nicht langfristig erfolgsversprechend und führt auch nicht zu einer inneren psychischen Zufriedenheit.
So bleibt nun der Weg der Selbstregulation, um einen Konsens der Anliegen von Verstand und „Würmli“ herzustellen und zu psychischem Wohlbefinden zu führen.
Dazu wurde uns nun anhand praktischer Impulse und Übungseinheiten ein konkretes Methodenhandwerk an die Hand gegeben, welches die Selbstregulation initiiert:
In einem ersten Schritt wurde gelernt, das eigene Anliegen zu formulieren und mit Hilfe der sogenannten Gefühlsbilanz selbst zu bewerten.
Im Weiteren übten wir dann, unsere somatischen Marker (besser) kennen zu lernen – zu spüren, wo sich bei jedem von uns der kleine Strudelwurm meldet, wenn er sehr zufrieden oder sehr unglücklich ist. Methodisch half dazu die Darstellung anhand des sogenannten Körperschemas oder Somatogramms. Das bildliche Aufzeichnen zeigte sich dabei hilfreich, um die eigenen Gefühle bezüglich des selbstformulierten Anliegens darzustellen, da die Sprache des Würmlis aus Bildern besteht – nicht aus Worten!
Erst anschließend wurden mögliche Gründe für die positiven und negativen somatischen Marker gesucht. Somit wurde das Bauchgefühl auch auf die Ebene des Verstandes gehoben.
Die Vision eines Wunschelementes trainierte schließlich unsere inneren Bilder, denn das Unbewusste äußert sich auch in Bildern. Nicht wenige von uns waren erstaunt, welches Bild ihnen unerwartet als Hilfe vor Augen trat.
Der vierte Schritt der Methode bestand in einem sogenannten Ideenkorb, der die Teilnehmer/innen anhielt, kreativ und spontan die eigenen Assoziationen zu den Bildern der anderen beizutragen. Mit viel Freude, Lachen und positiven Gefühlen fühlte sich so mache/r von uns bereichert und „mit Ideen beschenkt“.
Dem folgend galt es nun noch einmal Bilanz zu ziehen: Verstand und Unbewusstes wurden verbunden. Es wurden konkrete Pläne gemacht, um die positiven Gefühle noch weiter zu erhöhen bzw. die negativen Gefühle zu minimieren.
Um letztlich den nun geschlossenen „neuen Vorsatz“ zu einer möglichen Handlungsveränderung hilfreich und ganzheitlich zu unterstützen, wurde abschließend ein äußerlicher, körperlicher Ausdruck für diese innere Haltung gesucht. Die gefundene Geste oder Körperhaltung soll in diesem Schritt im Sinne des Embodiments dazu dienen, Erinnerungsmarker zu setzen.
Den zweiten Tag der Fortbildung nutzten wir, um unter Anleitung und in Begleitung der Referentinnen den erlernten Ansatz des ZRM auf unsere Praxis der Beratung von Kindern und Jugendlichen an der Schule zu übertragen. Ein authentischer Fall aus unserer Praxis wurde dazu im Plenum schrittweise beraten. Im Wechsel mit der Arbeit im Plenum wurden jeweils Trainingseinheiten in Kleingruppen besucht, in denen wir an weiteren Praxisfällen die vorgestellte Methode erprobten und einübten.
In der abschließenden Feedbackrunde unserer Fortbildung zeigte sich eine sehr breite positive Rückmeldung zu dem Ansatz des ZRM und der anregenden Planung und Durchführung der Fortbildung durch die drei Referentinnen.
Es erschien und erscheint nach der erlebten Fortbildung sehr folgerichtig, dass zu einem bewussten Änderungswunsch das unbewusste Bedürfnis mit aktiviert werden muss, um so ein erwünschtes, neues Verhalten erreichen zu können.
Und so wurde so manchem von uns überraschend klar, dass in unserer Abschlussrunde nicht nur eine Runde kompetent reflektierender, frisch fortgebildeter Beratungslehrer/innen saßen, sondern auch jede Menge kleiner, eigenwilliger Tierchen, die es weiter zu entdecken gilt:
Wir stellen vor: Das Würmli
Das Würmli hat Flügel, Schutzengelflügel!
(von Dr. Renate Bonn)
Im Zürcher Ressourcen Modell (ZRM) wird der Teil unseres Gehirns, der unser Verhalten blitzschnell steuert - und dies oftmals an der Vernunft vorbei - Würmli genannt.
Als innerer Schweinehund wurde er früher beschimpft und bekämpft.
Dabei könnten wir dem Würmli unseren ganzen Respekt, unsere volle Bewunderung für seine Weisheit und für das Geschenk seines Schutzes zu Teil werden lassen.
Es sorgt für die beste, schnellste und effektivste Lösung zugunsten des momentanen Wohlbefindens.
Da ist ein Junge, der aus dem Fenster schaut und den Vögeln zusieht, statt seine Lateinvokabeln zu lernen.
Seine Lücken sind so groß, dass er verzweifelt und nicht weiß, wie er sie jemals füllen könnte. Wenn er allerdings den jetzt anstehenden Vokabeltest meistern würde, könnte er Latein abwählen. An diesem Test hängt sein Verbleib an der Schule ab, seiner neuen Schule, an der er sich wohlfühlt.
Dieser Vokabeltest entscheidet über seine Zukunft. – 130 Vokabeln müsste er lernen, stattdessen schaut er aus dem Fenster.
Sein Würmli ist aktiv, es sorgt dafür, dass der Junge nicht vollständig von Angst überflutet wird, sein verzweifeltes Alleinsein und seine Ohnmacht und Hilflosigkeit nicht spürt. Außerdem sind Lateinvokabeln aus Würmli-Sicht gar nicht überlebenswichtig.
Es lenkt seinen Jungen also ab, senkt so seinen Stresspegel. Vielleicht sorgt es dafür, dass er später den PC einschaltet.
Hier kann er seine Wut ausleben, hat Erfolg und ein irgendwie geartetes Gegenüber. Das ausgeschüttete Dopamin und Adrenalin bewirken, dass er sich wohlfühlt.
Jetzt fehlt nur noch ein Stoff für die Lust am Lernen: Oxytocin, das „Freundschafts- oder Bindungshormon.
Ein vertrauter Freund müsste her, mit ihm zusammen zu lernen, würde sich so anders anfühlen. Und das Gehirn muss sich wohlfühlen, es sorgt immer zunächst für sich selbst.
Da ist ein Mädchen, das isoliert ist. Es grollt und schmollt, keiner interessiert sich für sie, die anderen sind gemein.
Trägt sie irgendwie zu ihrer Isolation bei?
Die Frage, was denn vielleicht auch gut daran sein könnte, so unbeachtet abseits zu stehen, wirft ein Licht auf das hilfreiche, unbewusste Tun ihres Würmlis.
Es ist gut für sie, keinem zeigen zu müssen, wie es zu Hause aussieht, es ist gut, nicht eingeladen zu werden, wenn man nicht weiß, wie man ein Geschenk bezahlen kann.
Ihr Würmli hindert sie erfolgreich und klug daran in eine beschämende Situationen zu geraten.
Langfristige Planung und das Verfolgen eines Ziels, das in weiter Ferne liegt, die Fähigkeit, Durststrecken zu durchstehen und Misserfolge zu verarbeiten, sind dem Würmli fremd. Das ist Aufgabe des Verstandes. Damit es jedoch ein vernünftiges Vorhaben nicht torpediert wird, braucht der Verstand das Würmli als verlässlichen Kooperationspartner. Es muss einbezogen sein, frei mitbestimmten dürfen. Selbstregulation heißt das im ZRM: Selbstregulation statt zwingende Selbstdisziplin.
Wie können wir Erwachsene für einen guten Zustand des Würmli bei uns selbst und bei den uns anvertrauten Schülern sorgen?
Um motiviert, wach und munter zu sein, braucht das Würmli genügend Schlaf und Nahrung. Der Körper muss gesund sein und bewegt werden.
Die Balance zwischen An- und Aufregung, zwischen Abwechslung und Ruhe, zwischen in Gesellschaft- Sein und Alleinsein muss stimmen.
Das Würmli ist ein Beziehungstier. Gute, vertraute Beziehungen wirken sich direkt auf den Stoffwechsel unseres Gehirns aus.
Interessierte Wertschätzung bewirkt über Neuropeptide allgemeines Wohlbefinden, innere Ruhe, Offenheit und ein gutes Selbst-Gefühl.
Anerkennung und erlebter Erfolg fördert sie Ausschüttung von Dopamin, dem Glückshormon.
Und nicht zuletzt: Angst und Stress werden über Oxytocin reduziert: durch die Vertrautheit und Verlässlichkeit eines Freundes.
* ZRM® ist eine von Maja Storch und Frank Krause an der Universität Zürich entwickelte Methode zum Selbstmanagement, siehe auch: Maja Storch, Frank Krause: Selbstmanagement-ressourcenorientiert. Huber, Bern, 2007