Bericht zur Tagung des LBL am 21. und 22.11. 2024 im Geno-Hotel in Rösrath
„Stärkung der psychosozialen Beratungskompetenz im Kontext demokratiegefährdenden Verhaltens in der Schule“
Erster Tag
Referent*innen: Axel Bühlow und Jutta Weiler, schulpsychologischer Dienst im Kreis Düren, beide abgeordnet für den Bereich systemische Beratung im Bereich Extremismus-Prävention (Systex).
Wir konfrontierten uns mit unserer eigenen Sprachlosigkeit in den sogenannten „Hot Moments“ (… ich hätte gerne gesagt …). Nach Versuchen, den Begriff Demokratie aus verschiedenen Perspektiven zu definieren, erarbeiteten wir demokratieförderndes Verhalten. Einige wichtige Erkenntnisse waren dabei, dass z.B. unbedingt immer eine Reaktion auf eine rassistische/diskriminierende/ menschenverachtende Bemerkung erfolgen sollte. Etwas unbeantwortet stehen zu lassen, trifft Betroffene im Zweifelsfall mehr als die eigentlich diskriminierende Bemerkung.
In einer längeren Arbeitsphase setzten wir uns mit dem TOZ-Modell (Täter-Opfer-Zuschauer oder besser Akteur-Betroffene-Beteiligte) auseinander; in alltagsrassistischen Situationen sind alle beteiligt. Sich über die verschiedenen Perspektiven klar zu werden, kann zu wirkungsvolleren Interventionen (Stärkung der Beteiligten (Z), sie sind nicht „neutral“; Schutz der Betroffenen (O), fühlen sich „gesehen“; Gespräch suchen mit den Akteur:innen, z.B. auch mit Hilfe von außen) und zur Vermeidung weiterer Übergriffe führen. Fazit: Eine unüberlegtere Reaktion auf eine reaktionäre Äußerung ist immer noch besser als keine Reaktion.
Im zweiten Teil ging es dann um Radikalisierungsprozesse, insbesondere digitale Medien wurden genauer in den Fokus genommen. Wir schauten uns auf den sogenannten Social-Media-Plattformen um, insbesondere auf TikTok. Populistische Nachrichten und Haltungen sind hier im Trend, nicht nur bei Jugendlichen. Einzelne Menschen „erklären“ als selbsternannte Expert*innen die Welt und das Weltgeschehen. Hierbei werden vorhandene Zugehörigkeiten zu gefühlten oder existierenden Minderheiten angesprochen. Untergangs- und Verschwörungsszenarien werden als Bedrohung in Szene gesetzt, gegen die dann eine Opfer- oder Ohnmachtshaltung eingenommen werden kann. Viele „Influencer*innen“ verwenden in Interviews „Schlüsselsätze“, die provozieren und dann gerne für weitere Reportagen oder Berichte herausgenommen werden. Interessant waren hier auch die Hinweise der beiden Referent*innen auf Codes zur gegenseitigen Verständigung, z.B. bestimmt Emojis , Avatare oder die Nutzung bestimmter Farben. Anzeichen von Radikalisierungsprozessen beobachten wir, wenn sich deutlich abwertende Äußerungen wiederholen oder Personen sich gegenüber anderen besonders abwertend bzw. besonders missionierend verhalten.
In Fallbeispielen erörterten wir miteinander in Gruppen, wie wir stärkendes Verhalten entwickeln und bei anderen fördern können. Ein bewusster Umgang mit unseren Interventionsmöglichkeiten machte auch Stolpersteine deutlich, wie z.B. sich vereinzeln lassen, Othering, indifferent bleiben, sich auf vermeintliche Neutralität berufen, Betroffene/Opfer übersetzen in Klärungsgesprächen selbst, in die Legitimationsfalle tappen, mit umfassenden Verboten reagieren, alles durch Unterricht lösen zu wollen. Am Ende des Tages wurden weitere Beratungs-/Weiterbildungsmöglichkeiten vorgestellt.
Fazit: Schulen benötigen bei Schülerinnen und Schülern, die sich radikalisieren, definitiv Hilfen von Expert:innen und die in Schule tätigen Beratungslehrkräfte sind gut beraten, wenn sie ggf. weitere außerschulische Hilfsangebote in Anspruch nehmen.
Zweiter Tag
Referent: Ramy Azrak, Schulsozialarbeiter, Leiter der Dr. Moroni-Stiftung in Bonn
Der zweite Tag war geprägt durch Übungen und Austausche, die zur Sensibilisierung und zur Sichtbarmachung von diskriminierendem Verhalten und Alltagsrassismus dienen sollten. Hierbei wurde deutlich, dass die Arbeit an den eigenen Biografien, eigene Alltagserfahrungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung, die Ausbildung einer rassismussensiblen Haltung erleichtern können. Das Bewusstsein über eigene Privilegien, die gesellschaftliche Stellung, eigene Bildungsmöglichkeiten etc. fördern Empathie und einen ergebnisoffenen Austausch in Beratungssituationen. Vorbehalte und Bewertungen können wir nicht ausblenden, aber uns dessen bewusst werden und sie damit auch kritisch hinterfragen. Um deutlich zu machen, wie sichtbare und unsichtbare Teile unsere interkulturelle Kompetenz ausprägen, wurde das sogenannte „Eisbergmodell“ (menschliche Kommunikation unter Berücksichtigung von zwischenmenschlichen Aspekten) in modifizierter Form herangezogen.
Die Anwesenden diskutierten teils fallbezogen und teils eher allgemein darüber, wie in einer Beratungssituation mit den aufkommenden Fragen und möglichen Interventionsschritten umgegangen werden könnte. Auch hier wurde deutlich, dass zum Erkennen von weiterem Beratungs- oder Handlungsbedarf im Falle schon erfolgter Radikalisierungsprozesse und einer möglichen Gefahrenabwehr/-vermeidung ein Zusammenwirken zwischen den betroffenen Beratungslehrkräften mit den betroffenen Lehrkräften oder Schüler:innen und ggf. außerschulischen Anlaufstellen notwendig ist.
Vielleicht – so äußerten einzelne Teilnehmende – wären in dem zweiten Teil noch mehr Übungen bzw. Kleingruppenarbeiten/-diskussionen hilfreich gewesen, um die Thematik v.a. an unseren Beratungsalltag und die damit verbundene besondere Perspektive anzupassen.
Insgesamt war die Fortbildung jedoch auch laut der Rückmeldung der Teilnehmenden wieder einmal sehr lohnend. Es gibt viel Platz zum „Weiterdenken“, wobei auch hilft, dass alle Referent:innen uns ihre PP Materialien mit zusätzlichen Anlaufstellen, Quellen und Hinweisen zur Verfügung stellten, sodass die inhaltsreichen Tage im Nachhinein noch einmal wirken und wir nachgucken können, wo es Hilfsangebote bei Bedarf gibt.
Herzlichen Dank dafür nochmals an die Referent:innen und herzlichen Dank für die engagierte Zusammenarbeit aller Anwesenden an den beiden Tagen!
Der gemeinsame Abend mit vielen interessanten Gesprächen in der Hotelbar war für die TN*innen zusätzlich bereichernd.
Die durchgängig sehr wertschätzende Atmosphäre, die fruchtbare Beschäftigung mit diesem wichtigen Thema, das überaus angenehme Miteinander überzeugten drei Anwesende, dem Verband beizutreten. Also war die Fortbildung auch im Hinblick auf den Bestand des Verbandes ein Erfolg!